Désolée, il n’y a pas de version française.
Ein Beitrag zum Verständnis der Situation in Mali, der auch auf die Kultur des Dialogs hinweist und diese Tradition ausleuchtet – ich habe mich schon vor 8 Jahren gefragt, warum das immer ein Krisenbewältigungsmittel in Mali war und jetzt nicht mehr wirksam scheint. Oder doch?
Der sanfte Putsch
Brennende Barrikaden und tote Demonstranten: Die Bilder aus Mali scheinen Klischees von Gewalt und Chaos zu bestätigen. Doch die malische Gesellschaft liebt den Dialog.
ZEIT online – 21. Juli 2020, 20:22 Uhr
Eine Analyse von Issio Ehrich
Der Boden für noch mehr Chaos schien in Mali bereitet, als die Anführer der Protestbewegung M5 vor gut einer Woche zu „zivilem Ungehorsam“ aufriefen. Tausende forderten daraufhin in den Straßen der Hauptstadt Bamako den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, genannt IBK. Sie belagerten das Parlament und das Staatsfernsehen und setzten Barrikaden in Brand. Die Staatsführung hielt mit Gewalt dagegen: Sie ließ M5-Anführer einsperren und entsandte Antiterroreinheiten. Mindestens elf Zivilisten wurden erschossen. Es schien, dass sich in diesen Tagen Mitte Juli ein friedlicher Protest in einen gewaltvollen Aufstand verwandeln würde. Doch dann passierte … nichts.
Foto (c) Matthiew Rosier/Reuters: Protestierende in Mali bei einer Demonstration gegen Präsident Ibrahim Boubacar Keïta am 10. Juli in der Hauptstadt Bamako
Was derzeit in Mali geschieht, lässt sich schwer zusammenbringen mit dem Bild, das viele Menschen in Europa von dem westafrikanischen Land haben. Terror, Gewalt, instabile Sicherheitslage – das sind die Stichworte, die oft als Erstes fallen. Ein blutiger Putsch hätte gut dazu gepasst. Doch bei all der Gewalt, die es in Mali gibt, geht eines unter: Das Streben nach Harmonie ist tief verankert in der Gesellschaft dieses Landes, sie sucht traditionell leidenschaftlich den Dialog. Das zeigt sich auch am aktuellen Protest der Bewegung M5.
Auch für das vergangene Wochenende waren wieder Demonstrationen angekündigt gewesen, doch dann entschied sich M5 für Deeskalation. Statt wie zuvor auf den Unabhängigkeitsplatz in Bamako zu strömen, verteilten sich die Anhänger der Protestbewegung wohlgeordnet auf die vielen Moscheen der Stadt und beteten für die Opfer der Gewalt. Anschließend verhandelten ihre Unterhändler stundenlang, um Präsident IBK davon zu überzeugen, dass es nun aber wirklich Zeit für ihn sei zurückzutreten.
Selbst Menschen, die wochenlang gegen IBK auf die Straßen gegangen sind, verlieren kaum ein abfälliges Wort über den Präsidenten, im Gegenteil: „Ich mag IBK noch immer“, sagt der Student Moussa Camara am Telefon, „er kann nur nicht mehr unser Land regieren.“ Dann versichert er: „Ich werde IBK nicht zum Gehen zwingen, ich mag keine Gewalt.“ Diese Haltung des 21-jährigen Studenten entspricht der vieler anderer Zivilisten, mit denen ZEIT ONLINE per WhatsApp oder Telefon über die Lage in Mali gesprochen hat. M5 will einen Regimewechsel, aber unbedingt einen sanften.
Große Zurückhaltung also – obwohl sich längst viel Wut angestaut hat: IBK ist seit sieben Jahren im Amt und hat es nicht geschafft dafür zu sorgen, dass junge Menschen Perspektiven in ihrem Leben haben. Der Wirtschaft geht es schlecht, die Infrastruktur ist in einem miserablen Zustand. Vielerorts sind Schulen geschlossen – ganz unabhängig von der Corona-Pandemie, nämlich schon seit Jahren. Vor allem aber ist es IBK nicht gelungen, für Sicherheit im Land zu sorgen. Obwohl die malische Armee die Unterstützung von mehr als 10.000 UN-Blauhelmsoldaten hat – darunter mehr als 1.000 Bundeswehrangehörige – und von 5.000 Mitgliedern der französischen Operation Barkhane, kontrollieren verschiedene Milizen, Terroristen und kriminelle Banden ganze Landstriche.
Noch mehr Wut hat sich angestaut, weil der Machtmissbrauch der Staatsführung unübersehbar geworden ist. Bei Parlamentswahlen Anfang des Jahres kam es zu Unregelmäßigkeiten zugunsten der Präsidentenpartei. Und als wäre all das nicht genug, tauchten zuletzt Videos von IBKs Sohn in den sozialen Medien auf, die insbesondere konservative Malier empörten. Karim Keïta, der jahrelang Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des malischen Parlaments war, ist darin mit breitem Grinsen auf einer Luxusjacht zu sehen. Ein Clip zeigt ihn tanzend auf einer Party, auf einem weiteren lässt er sich umgeben von spärlich bekleideten Frauen massieren. Viele Anhänger von M5 sehen in diesen Videos die Belege für die schlimmsten Auswüchse des malischen Nepotismus: Die Eliten leben in Saus und Braus, die einfachen Bürgerinnen und Bürger in Armut und Todesangst.
– Jahrhundertealte Kultur des Dialogs –
Und trotz alledem bemühen sich nicht nur die protestierenden Studenten wie Camara, sondern auch der derzeit wohl größte Rivale des Präsidenten um eine fast schon liebevolle Wortwahl, wenn es darum geht, IBK unter Druck zu setzen: Der Imam Mahmoud Dicko, die bekannteste und populärste Person der M5-Bewegung, nennt den Mann, den er zum Rücktritt bewegen möchte, seinen Bruder. Kürzlich sagte er in einem Gespräch zu ihm: „Hilf mir dabei, dir zu helfen.“
Diese Kultur des Dialogs wird in Mali seit vielen Generationen praktiziert. Mindestens seit dem 13. Jahrhundert gibt es hier zum Beispiel die Institution der Cousinage, der sogenannten Scherzverwandschaft. Das bedeutet, dass Malier bestimmter unterschiedlicher Abstammungen einen besonderen Bund pflegen. Sie dürfen einander selbst dann nicht böse sein, wenn fundamentale Kritik geäußert oder mit traditionellen Hierarchien gebrochen wird. So entsteht ein geschützter Raum, in dem über so gut wie alles gesprochen werden kann.
Ein anderes Beispiel für Malis besondere Kultur des Dialogs erwähnt die Autorin Charlotte Wiedemann in ihrem Buch Mali oder das Ringen um Würde: Die Decken der traditionellen Versammlungsbauten im Zentrum des Landes sind oft kaum anderthalb Meter hoch. Wiedemann schreibt: „Niemand kann hier in Erregung aufspringen.“ In Mali ist lange vor der modernen Demokratie und Justiz ein komplexes Netz informeller Regeln und Institutionen entstanden, die vor allem dem Ziel dienen, Konflikte friedlich beizulegen. Es gibt sie noch heute. Aber dass diese Mechanismen nicht mehr so gut funktionieren, liegt auch daran, dass Einflüsse von außen immer stärker werden.
– Der Präsident spielt auf Zeit –
Vor diesem Hintergrund rechnen auch Beobachterinnen in Mali nicht unbedingt mit mehr Gewalt und Toten im Machtkampf zwischen Protestierenden und dem Präsidenten. „Definitiv wird es in Mali mehr Proteste geben“, sagt Christian Klatt, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako arbeitet. „Es ist aber weder im Interesse von M5 noch im Interesse der Regierung, dass die Gewalt wieder eskaliert. Es wird in Mali eigentlich immer der Dialog gesucht.“
Ähnlich sieht es Thomas Schiller, der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako, auch wenn er die Harmoniebedürftigkeit der Malier nicht nur positiv einschätzt. „Dialog ist wichtig, aber er muss zu Ergebnissen führen, die auch umgesetzt werden“, sagt er. Mali kranke seit Jahren daran, dass nicht ansatzweise so viel umgesetzt wie debattiert werde – sei es beim Friedensabkommen oder beim Aufbau einer funktionierenden Armee. „Auch jetzt darf der Dialog zwischen Regierung und Opposition kein Selbstzweck sein, sondern muss die Handlungsfähigkeit des malischen Staates herstellen.“
Am vergangenen Wochenende schalteten sich Vertreter der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas in die Verhandlungen zwischen der Protestbewegung M5 und dem Präsidenten IBK ein. Ohne Erfolg, die Positionen erscheinen unversöhnlich: Doch was heißt das in Mali?
„Wir machen jetzt mit dem zivilen Ungehorsam weiter“, sagt Nouhoum Traoré, ein Unterstützer von M5. „Ich hoffe, dass es gewaltlos bleibt.“ Am Montag sperrten Demonstranten wieder Straßen mit Barrikaden, der Verkehr kam teilweise zum Erliegen. Berichte über gewalttätige Konfrontationen gab es aber zunächst nicht.
Während M5 also weiterhin auf vorsichtigen Druck setzt, hofft IBK mittlerweile offenbar darauf, dass die Protestbewegung irgendwann an Rückhalt in der Bevölkerung verliert. Schon jetzt fragen sich manche Malier, was am Ende schlimmer ist: Die Regierung IBKs mit all ihren Makeln? Oder Demonstrierende, die mit ihrem zivilen Ungehorsam nicht nur die Staatsführung unter Druck setzen, sondern auch das wirtschaftliche Zentrum des Landes lahmlegen? M5 kündigte sicherheitshalber schon einmal an, bis zum islamischen Opferfest Ende des Monats auf den zivilen Ungehorsam zu verzichten – auch weil die Präsidenten der Côte d’Ivoire, Ghanas, Senegals und Nigers am Donnerstag zu Gesprächen in Bamako erwartet werden.
© 2020 zeit.de
Nachtrag: Dies ist eine sinnvollere Perspektive als die in der tagesschau am 27.07.2020 verbreitete: „Mali auf dem Weg ins Chaos“ titelte dort Norbert Hahn von Nairobi aus im mittagsmagazin am 27.07., und nochmal „Chaotische Zustände im nordafrikanischen Mali“ in den tagesthemen ☹
=> https://www.tagesschau.de/ausland/mali-ecowas-eu-101.html (bis 02.08.20)
Verfügbar bis 29.07.2025: Mali versinkt im Chaos 😟
∙ Weltspiegel ∙ Das Erste – 29.07.2020 => HIER
Von Norbert Hahn mit Einblicken und Stimmen aus dem Land.
Er ist wohl nach Bamako geflogen, aber Einblicke kann er dadurch nur bedingt gewonnen haben. Ed
VISITE DES CHEFS D’ÉTAT DE LA CEDEAO AU MALI à Bamako dans le cadre de la résolution de la crise socio-politique, le 23 juillet 2020
(Sont venus:
-S.E.M. Mahamadou ISSOUFOU, Président de la République du Niger et Président en exercice de la CEDEAO ;
-S.E.M. Alassane OUATTARA, Président de la République de Côte d’Ivoire ;
-S.E.M. Nana Akufo- Addo, Président de la République du Ghana;
-S.E.M. Muhammadu BUHARI, Président de la République fédérale du Nigéria ;
– S.E.M. Macky SALL, Président de la République du Sénégal ;
S.E.M. Goodluck Jonathan, Médiateur du Président en exercice de la CEDEAO ;
et plusieurs autres personnalités de la sous-région. )
Gouvernement du Mali – 24.07.2020
« Nous sommes optimistes » dixit SEM Mahamadou ISSOUFOU !
Après avoir rencontré la Majorité présidentielle, le Mouvement du 5 juin – Rassemblement des Forces Patriotiques (M5-RFP), l’imam Mahmoud DICKO et le Conseil national de la Société civile, les Chefs d’Etat de la Cedeao, en mission ce jeudi 23 juillet 2020 à Bamako, ont tenu une conférence de presse pour faire le point de leurs travaux.
Le Président de la République du Niger, SEM Mahamadou ISSOUFOU, Président en exercice de la Cedeao s’est dit optimiste quant à la décrispation du climat socio-politique au Mali. « Nous nous réjouissons de constater que tous les acteurs sont soucieux de la nécessité de trouver une solution rapide et définitive à la situation qui prévaut dans le pays » s’est réjoui le Président ISSOUFOU.
Par ailleurs, il a tenu à rappeler que le départ du Président de la République, SEM Ibrahim Boubacar KEITA est une « ligne rouge » à ne pas franchir pour la Cedeao. Et d’ajouter : « Le Président KEITA a été élu démocratiquement par le Peuple Malien ».
Enfin, le Président nigérien a déclaré qu’un Sommet extraordinaire des Chefs d’Etat de la Cedeao par visioconférence sera convoqué dès ce lundi 27 juillet 2020. L’objectif de cette rencontre est de faire le compte rendu de ladite mission à leurs homologues, mais aussi et surtout, de prendre des mesures fortes visant à contribuer à la stabilité du Mali.
Besuch der ECOWAS-Staatsoberhäupter in MALI in Bamako im Rahmen der Lösung der sozio-politischen Krise, 23. Juli 2020
( Es kamen:
– S.E. Herr Mahamadou ISSOUFOU, Präsident der Republik Niger und derzeitiger Vorsitzender der ECOWAS;
– S.E. Herr Alassane OUATTARA, Präsident der Republik Elfenbeinküste;
– S.E. Herr Nana Akufo-Addo, Präsident der Republik Ghana;
– S.E. Herr Muhammadu BUHARI, Präsident der Bundesrepublik Nigeria;
– S.E. Herr Macky SALL, Präsident der Republik Senegal;
– S.E. Herr Goodluck Jonathan, Vermittler des derzeitigen Vorsitzenden der ECOWAS;
und mehrere andere Persönlichkeiten aus der Subregion. )
Regierung Malis – 24.07.2020
„Wir sind optimistisch“, sagte SE Mahamadou ISSOUFOU!
Nach einem Treffen mit der Präsidentschaftsmehrheit, mit der Bewegung vom 5. Juni – Zusammenschluss der Patriotischen Kräfte (M5-RFP), mit Imam Mahmoud DICKO und mit dem Nationalen Rat der Zivilgesellschaft hielten die Staatschefs der ECOWAS, die am Donnerstag, 23. Juli 2020, in Bamako auf Mission waren, eine Pressekonferenz ab, um eine Bilanz ihrer Bemühungen zu ziehen.
Der Präsident der Republik Niger, SE Mahamadou ISSOUFOU, äußerte sich optimistisch über die Entspannung des sozio-politischen Klimas in Mali. „Wir freuen uns festzustellen, dass alle Beteiligten darüber besorgt sind, dass eine rasche und endgültige Lösung für die im Land herrschende Situation gefunden werden muss“, sagte Präsident ISSOUFOU.
Er erinnerte auch daran, dass der Rücktritt des Präsidenten der Republik, S.E. Ibrahim Boubacar Keita, eine „rote Linie“ sei, die für die ECOWAS nicht überschritten werden dürfe. Er fügte hinzu: „Präsident Keita wurde vom malischen Volk demokratisch gewählt“.
Schließlich erklärte der nigrische Präsident, dass am Montag, den 27. Juli 2020 ein außerordentlicher Gipfel der Staatschefs der ECOWAS per Videokonferenz einberufen wird. Ziel dieses Treffens ist es, ihren Amtskollegen über die besagte Mission zu berichten, aber auch und vor allem, kraftvolle Maßnahmen zu ergreifen, um zur Stabilität Malis beizutragen.
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Eine andere Perspektive als in der tagesschau…
„Mali auf dem Weg ins Chaos“ titelte dort Norbert Hahn von Nairobi aus im mittagsmagazin am 27.07., und nochmal „Chaotische Zustände im nordafrikanischen Mali“ in den tagesthemen ☹
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